Auch wir haben uns in Venedig verlaufen. Nur durch einen netten Venezianer – er hat uns begleitet – haben wir den Bahnhof Venezia Santa Lucia wieder gefunden und in letzter Minute unseren Zug nach Padua erreicht. Ernest Hemingway hat also nicht ganz unrecht, wenn er sagt: Venedig ist eine sonderbare, knifflige Stadt, und von irgendeinem Punkt zum anderen gegebenen Punkt zu gelangen, ist amüsanter als Kreuzworträtsel lösen.
Friedrich Torberg
von Beate Mitzscherlich
Vor dem Hauptbahnhof. Kurz nach Mitternacht. Ich warte auf die Straßenbahn. Ein Typ spricht mich an. Sieht ganz gut aus auf den ersten Blick. Braune Augen. Sehr kurze Haare. Graue Kapuzenjacke. Vielleicht Ende 20. Ein bißchen verwahrlost, wenn man genauer hinsieht. Hat getrunken. Ziemlich aggressiv. »Ich bin heute aus dem Knast gekommen. Ich hab überhaupt kein Geld. Aber das ist mir egal. Ich will eine Frau. Zwei Jahre habe ich keine Frau gehabt.« Er wird leiser. »Wenn ich dich jetzt in eine Ecke zerren würde, kein Schwein würde dir helfen…«.
Kann sein, daß er recht hat. Die anderen Leute haben sich schon verzogen. Nach vorn, dorthin, wo mehr Licht ist. Um die Zeit will keiner Ärger haben. Ich auch nicht. Hätte der nicht jemanden anders anquatschen können? Wieso ausgerechnet mich? Er sagt es mir: »Du siehst aus wie ´ne kleine Mutti, die viel Angst hat …«.
Als die nächste Straßenbahn abklingelt, renne ich los und springe auf. Er hat nicht versucht, mich festzuhalten. Die Bahn fährt in eine völlig falsche Richtung. Scheiß Angst.